Die intensivierte-konventionelle-Insulintherapie (ICT)

Das Grundprinzip der intensivierten-konventionellen-Insulintherapie

Das Grundprinzip der intensivierten-konventionellen Insulintherapie ist, dass zu den Hauptmahlzeiten eine wechselnde Menge kurzwirksames Insulin gespritzt wird – abhängig vom Blutzucker und von der Mahlzeit. Ein Basalinsulin deckt den Insulingrundbedarf, der unabhängig von den Mahlzeiten ist.

Die Therapie ist dadurch charakterisiert, dass sie sich an den natürlichen Verhältnissen des Organismus orientiert, wodurch sich im Vergleich zur konventionellen Therapie (CT)

  • im Allgemeinen eine wesentlich bessere Einstellung des Blutzuckers ergibt,
  • das Risiko für die Entwicklung diabetischer Folgekrankheiten deutlich geringer ist [1],
  • eine erheblich größere Flexibilität in Bezug auf Ernährung und Gestaltung des Tagesablaufes möglich ist,
  • Mahlzeiten ausgelassen und variiert werden können,
  • die Blutzuckerwerte gezielt mit Insulin beeinflussbar sind,
  • die Blutzuckerselbstkontrolle (SMBG) bzw. auch CGM die Voraussetzung für die Ausschöpfung der therapeutischen Möglichkeiten der ICT sind,
  • eine umfassende strukturierte Schulung notwendig ist, um den Betroffenen in die Lage zu versetzen, die Möglichkeiten der Therapie auszuschöpfen.
Abb. T1D 5: Wirkungsprofil des Insulins unter der intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT). Bei dieser Therapieform wird kurzwirksames Insulin zu den Mahlzeiten injiziert. Der nahrungsunabhängige basale Insulinbedarf wird mit Verzögerungsinsulin sichergestellt (blau im Hintergrund: Insulinspiegel bei Menschen ohne Diabetes).

Die intensivierte Insulintherapie ist heute Standard bei Typ-1-Diabetes. Hier erreicht sie eindeutig bessere Behandlungsergebnisse und eine verbesserte Lebensqualität im Vergleich zur konventionellen Therapie (CT)[1].

Voraussetzung für eine erfolgreiche ICT: Die Diabetesschulung

Voraussetzung zur Durchführung einer ICT ist, dass der Patient geschult ist. Ohne eine ausführliche Schulung ist eine ICT zum Scheitern verurteilt. Für die Schulung stehen strukturierte, evaluierte Schulungsprogramme zur Verfügung. Die Schulungen werden in den diabetologischen Schwerpunktpraxen durchgeführt. Wer Insulin spritzt und nicht bereit ist, sich schulen zu lassen, läuft Gefahr, sich selbst zu gefährden.

Das Ding mit der Broteinheit (BE) / Kohlenhydrateinheit (KE)

Zur Durchführung einer ICT muss der Patient Broteinheiten (BE) bzw. Kohlenhydrateinheiten (KE) schätzen können. 1 BE entspricht 12 g Kohlenhydraten und 1 KE entspricht 10 g. Im allgemeinen wird der kleine Unterschied vernachlässigt und 1 BE mit 1 KE gleichgesetzt. Wir verwenden im folgenden die Einheit BE, welche gegen KE ausgetauscht werden kann. Dies wird in den Schulungen geübt. Darüber hinaus steht auf dieser Internetseite ein praktischer BE-Rechner/Mahlzeitenrechner zur Verfügung, mit dem sich Mahlzeiten einfach berechnen lassen.

Es empfiehlt sich, am Anfang das Essen abzuwiegen, um einen sicheren Umgang mit den Broteinheiten zu erlernen. Später wird dies nicht mehr nötig sein. Bei den Broteinheiten handelt es sich immer um Schätzteinheiten, so dass gewisse Fehler immer auftreten.

Wie viel Insulin wird zum Essen gespritzt?

Die Insulinmenge, die zum Essen verabreicht wird, setzt sich zusammen aus der Menge des Insulins, das für die gegessenen Kohlenhydrate benötigt wird und der Menge des Insulins, das benötigt wird, um den Blutzuckerwert wieder auf den individuellen Zielwert zu senken.

Zusätzlich beeinflussen noch die geplante körperliche Aktivität, der Fett- und Eiweißgehalt der Ernährung sowie  Krankheiten, Medikamente wie Kortison oder der hormonelle Zyklus der Frau den Insulinbedarf. Dies muss bei der Berechnung des Bolus sowie der Basalinsulindosis berücksichtigt werden.

Wie der BE-/KE- Faktor hilft, den Insulinbedarf abzudecken

Die Menge an Insulin, die für eine BE benötig werden, ist individuell unterschiedlich. Schlanke Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 werden in der Regel zwischen 0,5 und 1Einheit (IE) pro Broteinheit benötigen. Dies wird als “BE-Faktor” bezeichnet. Der BE-Faktor gibt an, wie viele Insulineinheiten für eine BE benötigt werden. Begonnen wird mit einem niedrigen BE-Faktor, um Unterzuckerungen zu vermeiden. Durch die langsame Steigerung wird der individuelle BE-Faktor gefunden.

Grundsätzlich hängt der BE-Faktor von der Tageszeit ab. Zum Frühstück ist der Insulinbedarf am höchsten (weil die Insulinempfindlichkeit am niedrigsten ist), also z.B. 2 Einheiten Insulin (IE) pro BE. Um die Mittagszeit ist die Insulinempfindlichkeit am höchsten, womit man z.B. 1 Einheit pro BE zur Abdeckung der Mahlzeit injiziert. Am Abend liegt die Insulinempfindlichkeit zwischen beiden Extremen, weshalb z.B. 1,5 Einheiten pro BE gespritzt werden sollten.

Ein Beispiel: Wer zum Frühstück 4 BE isst und einen BE-Faktor von 0,5 hat, benötigt zwei Einheiten Insulin. Bei einem BE-Faktor von 2,0 sind es 8 Einheiten Insulin für 4 BE. Vor dem Spritzen muss der Blutzucker gemessen werden. Ist der Wert im Zielbereich, wird genau die Menge gespritzt, die man zur Abdeckung der BE benötigt. Ist der Wert deutlich über dem Zielbereich, müssen zusätzlich ein paar Einheiten Insulin addiert werden, um in den Zielbereich zu kommen (Korrektur).

Mit der Korrekturregel richtig Insulin berechnen

Hierzu muss man seine individuelle Korrekturregel kennen. Sie besagt, um wie viel mg/dl (mmol/l) eine Einheit Insulin den Blutzucker senkt. Bei vielen Patienten senkt eine Einheit Insulin (IE) den Blutzucker um 30 mg/dl (1,6 mmol/l).

Ein Beispiel: Hat man einen Zielwert von 120 mg/dl (6,6 mmol/l) und eine Korrekturregel von 1 Einheit (IE) pro 30 mg/dl (1 IE/ 30 mg/dl) bzw. 1,6 mol/l (1 IE/ 1,6 mmol/l), so wird man bei einem Blutzucker von 150 mg/dl (8,3 mmol/l) 1 Einheit zusätzlich spritzen müssen, um wieder den Zielwert von 120 mg/dl (6,6 mmol/l) zu erreichen. Liegt der Blutzucker aktuell bei 210 mg/dl (11,6 mmol/l), werden 3 Einheiten Insulin zusätzlich benötigen, um wieder auf 120 mg/dl (6,6 mmol/l) zu kommen.

Die für die Mahlzeit zu verabreichende Insulinmenge berechnet sich damit aus:

BE x BE-Faktor plus Korrektur

Beispiel: Für 1 BE werden 1,5 Einheiten Insulin benötigt, das heißt der BE-Faktor ist 1,5. Der Blutzucker liegt aktuell bei 180 mg/dl (10,0 mmol/l). Der Zielwert ist 120 mg/dl (6,6 mmol/l). Das Abendessen hat geschätzte 4 BE.

Der BE-Faktor ist 1,5 ist und das Abendessen enthält 4 BE, also werden für die Mahlzeit 6 Einheiten (IE) Insulin (BE mal BE-Faktor gleich 4 × 1,5 = 6) benötigt. Da der Ausgangswert bei 80 mg/dl (10,0 mmol/l) und damit 60 mg/dl (3,3 mmol/l) über dem Zielwert liegt, muss noch zusätzlich eine Korrektur addiert werden: Sie beträgt 2 Einheiten Insulin (um den Blutzucker um 30 mg/dl (1,6 mmol/l) zu senken, wird 1 Einheit Insulin benötigtfür 60 mg/dl also 2 Einheiten). Die Gesamtmenge des benötigten Insulins zur Mahlzeit sind somit 8 Einheiten.

Was sind Fett-Protein-Einheiten (FPE)?

Grundsätzlich werden Kohlenhydrate (Broteinheiten-BE) berechnet, weil diese einen unmittelbaren Einfluss auf den Glukosespiegel haben. Allerdings kann beobachtet werden, dass auch eine Mahlzeit ohne Kohlenhydrate, zum Beispiel ein Salat mit Hähnchenbruststreifen den Glukosespiegel erhöht. Die Ursache dafür sind Fett und Protein, weshalb man diese auch mit Insulin abdecken kann.

Die Ursachen für den Einfluss von Fett und Protein sind dabei unterschiedlich: Fette verursachen eine gewisse Insulinresistenz, auch verzögern sie die Resorption von Kohlenhydraten, falls es sich um eine Mischmahlzeit handelt. Dagegen sorgt das Eiweiß aus Fleisch, Wurst, Ei usw. für Glukoneogenese, also die Neubildung von Glukose in der Leber.

Wir werden Fett-Protein-Einheiten (FPE) berechnet?

Mit den Fett-Protein-Einheiten (FPE) wird errechnet, welche Insulinmenge zu dessen Abdeckung gegeben werden soll. 1 FPE entspricht 100 kcal aus Fett und Eiweiß (1 g Fett hat eine Energie von 9 kcal, 1 g Protein von 4 kcal). Weil die Auswirkungen von Fett und Protein im Vergleich zu den Kohlenhydraten verzögert auftreten, ist die aus der FPE-Berechnung ermittelte Insulindosis später zu spritzen. Die Verzögerungsdauer hängt auch von der Größe der FPE ab. Man kann mit ca. 2-4 Stunden rechnen. Unter der ICT ist das schwierig, man muss ggf. eher zwei kleinere Dosierungen für die FPE-Abdeckung vornehmen als eine einzelne Dosis (bei einer Insulinpumpe kann man einen verzögerten Bolus abgeben, was einfacher ist). Auch noch zu beachten ist, dass z.B. bei einem Grillsteak nicht das Gesamtgewicht des Fleisches in die Rechnung eingehen soll, da es einen Anteil an Wasser von ca. 70% enthält. Auch deshalb sollte man eines FPE nicht mit 1 Einheit (IE) Insulin abdecken, sondern eher mit 0,5 IE.

Häufig wird folgendes Vorgehen bei einer Mischmahlzeit vorgeschlagen:

Es ergeben sich zwei Bolusanteile [2]:
  • Normaler Bolus = Insulinempfindlichkeit x BE zwecks Abdeckung der Kohlenhydrate
  • Verlängerter Bolus = Insulinempfindlichkeit x FPE zwecks Abdeckung der FPE mit folgenden Verlängerungszeiten:
  • 1 FPE – 3 Stunden
    2 FPE – 4 Stunden
    3 FPE – 5 Stunden
    > 3 FPE – 8 Stunden
Die sich dabei ergebenden Bolusmengen erscheinen hoch, so dass die Rechnung: 1 FPE = 0,5 Einheiten (IE) Insulin sinnvoll erscheint.

Generell ist eine FPE-Abdeckung bei großen Mischmahlzeiten sinnvoll, zum Beispiel bei einer Grillparty. Auch ist zu beachten, dass die Gabe des verlängerten Bolus unter der ICT schwierig und nur mit mehreren kleinen Boli sinnvoll ist.

Wie viel Basalinsulin wird benötigt?

Wer an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt ist, benötigt den ganzen Tag über Insulin. Da er selbst nichts produziert, muss dies von außen zugeführt werden. Selbst wenn er keine Mahlzeiten zu sich nimmt, wird er ohne eine gewisse Menge Basalinsulin entgleisen. Die Ursache dafür ist, dass im Wesentlichen die Leber den Organismus mit Glukose versorgt (hepatische Glukoseausschüttung – Glykogenolyse), wenn keine Glukose aus der Nahrung bereitgestellt wird. Schließlich benötigen die Organe, ganz besonders das Gehirn, fortlaufend Glukose.

Der Blutzucker wird also ohne Insulin kontinuierlich ansteigen, bis es zu einem hyperglykämischen Koma kommt. Daher muss der nahrungsunabhängige Insulin-Grundbedarf möglichst über 24 Stunden mit einem Basalinsulin abgedeckt werden. Die Menge des Basalinsulins sollte so berechnet sein, dass auch ohne Mahlzeiten normale Blutzuckerwerte erreicht werden. Die benötigte Menge an Basalinsulin ist individuell unterschiedlich. Das Verhältnis von Bolusinsulin zu Basalinsulin beträgt bei erwachsenen Menschen ungefähr 50 %, bei Kindern ist der Anteil an Basalinsulin geringer, ca. 35%.

An Basalinsulin stehen uns unterschiedliche Zubereitungen von Humaninsulin und langwirksamen Analoginsulinen zur Verfügung. In der Vergangenheit waren die häufigsten Humaninsuline sogenannte NPH-Insuline. NPH ist eine Abkürzung für Neutral Protein Hagedorn. Dies wird dem Humaninsulin zugesetzt, um eine Verzögerungswirkung zu erreichen. Der Zusatz bewirkt, dass das Humaninsulin verzögert aus dem subkutanen Fettgewebe aufgenommen wird und dadurch langsamer in die Blutbahn gelangt. Die Wirkdauer ist von der Dosis abhängig und beträgt zwischen 6 und 10 Stunden.

NPH-Insuline müssen daher zwei bis dreimal am Tag verabreicht werden, um eine Abdeckung mit Insulin über 24 Stunden zu gewährleisten. Zu beachten ist dabei, dass NPH-Insuline vor Injektion gründlich durchmischt werden müssen, da sie als Suspension vorliegen und eine unzureichende Durchmischung zu einer veränderten Wirkung des Insulins führt.

In den vergangenen Jahren haben langwirksame Analoginsuline gegenüber den NPH-Insulinen zunehmend an Marktanteilen gewonnen. Diese sind in ihrer Molekülstruktur so verändert, dass sie langsamer aus dem Unterhautfettgewebe aufgenommen werden. Dadurch erreicht man bei den Insulinen eine unterschiedliche Wirkdauer. Insulin Glargin hat eine Wirkdauer von mehr als 24 Stunden. Bei Insulin Detemir ist die Wirkdauer je nach Dosis bis zu 20 Stunden. Dabei wird die Verzögerung nicht nur über die langsamere Aufnahme aus dem Unterhautfettgewebe erreicht, sondern auch dadurch, dass das Insulin im Blut an Eiweiße gebunden wird.

Allerdings wird dieses Insulin 2025 vom Markt genommen. Weitere langwirksame Analoginsuline ersetzen es, wie das Insulin Degludec (Tresiba) mit einer Wirkdauer von bis zu 42 Stunden oder das Insulin icodec (Awiqli) mit einer Wirkdauer von bis zu 8 Tagen.

Der Nüchtern-Blutzucker – die Diva

Am schwierigsten ist es, die Nüchternblutzuckerwerte gut einzustellen. Die Wirkdauer der NPH-Insuline ist in der Regel zu kurz. Die NPH-Insuline haben ein Wirkmaximum nach ungefähr 4 Stunden und fallen danach in ihrer Wirksamkeit ab. In den Morgenstunden steigt der Insulinbedarf an. Morgens werden Stresshormone wie Katecholamine, Cortisol und Wachstumshormon ausgeschüttet. Diese verstärken die Insulinresistenz. Daher ist am Morgen der Insulinbedarf  am größten. Ausgerechnet in dieser Zeit sind die Wirkspiegel der NPH-Insuline so weit abgefallen, dass die Nüchternblutzuckerwerte viel zu hoch sind.

Mit Insulinanaloga ist der Insulinbedarf am Morgen besser gedeckt. Sie können aber eben nur den abfallenden Insulinspiegel von NPH-Insulin kompensieren, der Anstieg der morgendlichen Insulinresistenz aufgrund kontrainsulinärer Hormone allerdings nicht. Einige Patienten steigen jedoch ab 4:00 Uhr morgens mit den Blutzuckerwerten so stark an, dass auch mit Insulinanaloga gute Nüchternblutzuckerwerte nicht zu erreichen sind. Dieser Anstieg in den Morgenstunden wird „Dawn- Phänomen“ genannt. Bei einem ausgeprägten „Dawn-Phänomen“ kann man auch mit Insulinanaloga keine guten Nüchternblutzuckerwerte erreichen. Ein ausgeprägtes „Dawn-Phänom“ ist somit eine Indikation zum Einsatz einer Insulinpumpe, da hier die Abgabe des Basalinsulins von Stunde zu Stunde unterschiedlich eingestellt werden kann.

Literatur:

[1] The Diabetes Control and Complications Trial Research Group: The effect of intensive treatment of diabetes on the development and progression of long-term complications in insulin-dependent diabetes mellitus. The New England Journal of Medicine 1993; 14: 977 – 986 [2} Pankowska E et al.: Three kind of mealtime insulin administration and metabolic control in diabetic children on insulin pumps. Diabetologia 2008; 51 (Suppl. 1), S381

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