Messgenauigkeit von Systemen zur kontinuierlichen Glukosemessung (rtCGM)
Die Messgenauigkeit ist ein wesentlicher Faktor bei der Anwendung jedes beliebigen Messinstruments, also auch von CGM. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zur punktuellen Blutglukosemessung (SMBG). Dort wird allein der Wert aus der Augenblicksmessung beurteilt. Beim CGM ergibt sich dagegen neben dem Wert auch der Glukosetrend und die Einbindung in ein aufgezeichnetes Glukoseprofil, welches den zeitlichen Verlauf des Glukosespiegels darstellt. Diese Zusatzinformationen ermöglichen es auch bei einer geringeren punktuellen Genauigkeit als beim SMBG, eine ausreichend gute Therapieunterstützung zu realisieren.MARD als Kriterium zur Beurteilung der Messgenauigkeit von CGM-Systemen
Selbstverständlich ist für die Hersteller von CGM-Systemen und auch für deren Anwender eine möglichst hohe Messgenauigkeit im Fokus. Wesentlich ist, dass diese hoch genug ist, um SMBG zu ersetzen. Bisher geben die Hersteller für die Messgenauigkeit die sogenannte MARD an (Mean Absolute Relative Difference; deutsch: mittlere absolute relative Abweichung). Dieser Wert zeigt die Abweichung aller gemessenen Glukosewerte gegenüber einer Standardmessung, die als Referenzmethode dient, z.B. ein Laborgerät oder ein genau messendes SMBG-Gerät. Die Abweichungen eines jeden Wertepaars (zu beurteilende Messung und Referenzmessung) werden zusammengerechnet und durch die Anzahl der Wertepaare geteilt.Die CGM-Systeme haben in den letzten Jahren vielfältige Verbesserungen erfahren, sowohl das System selbst betreffend, als auch die Herstellungstechnologien, was zu einer zunehmend verbesserten Reproduzierbarkeit der Messungen führte. Ab 2016 wurde durch die amerikanische Zulassungskommission (FDA – Food and Drug Administration) dem ersten CGM-System gestattete, die Messwerte für alle Therapieentscheidungen zu nutzen, also SMBG zu ersetzen. Als Richtwert gilt, dass die Abweichung zu einem Laborgerät, also die MARD ≤ 10% betragen muss [1].
Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Werte im Interstitium und im Blut nur in der Glukosestabilität gleich sind (Unterschiede zwischen Blut und Interstitium). Zu beachten ist weiterhin, dass die Kalibrierung des CGM eine Rolle spielt, sofern der Sensor kalibriert werden kann. Das ist beim Dexcom G6/G7 und dem Guardian 4 der Fall. Sie sind zwar werkseitig kalibriert, können aber auch vom Patienten kalibriert werden (sie können kalibriert werden, müssen es aber nicht). Das zeigt auch, dass die Beurteilung der Messgenauigkeit über die MARD einer gewisse Willkür unterliegt. Demgegenüber lässt sich der ebenfalls werkseitig kalibrierte FreeStyle Libre 3 nicht kalibrieren, so dass der Anwender keinen Einfluss auf die MARD hat.
Error-Grid als Kriterium zur Beurteilung der Messgenauigkeit von CGM-Systemen
Die Beurteilung der Messgenauigkeit von Blutglukosemessgeräten in Bezug auf eine Referenzglukosemessung unter Nutzung der Error-Grid-Analyse [2] kann auch für ein CGM-Systems genutzt werden. Dies geschieht in der Literatur häufig, gilt aber streng genommen nicht für ansteigende und abfallende Werte. Es wurden zwar bereits Darstellungen vorgestellt, in denen an jedem ein Wertpaar repräsentierenden Punkt der Glukosetrend mit einem Pfeil eingetragen wurde, dieser etwas kompliziertere, sogenannte CG-EGA (Continuous Glucose Error Grid Analysis) hat sich aber nicht durchsetzen können [3]. Folglich ist hier zu fordern, dass nur Werte in der Glukosestabilität eingetragen werden, weil die Error-Grid-Analyse sonst willkürlich ist.Anforderungen an ein iCGM-System
Die den Bedingungen bisher am besten gerecht werdende Festlegung wurde im Zusammenhang mit der Definition eines iCGM von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) vorgeschlagen [4]. iCGM steht für ein intergriertes rtCGM-System, welches zuverlässig und sicher Daten an unterschiedliche digital angeschlossene Geräte übertragen können muss, also interoperabel ist. Bezüglich der Messgenauigkeit wurden Toleranzbereiche für ein „iCGM“ festgelegt, dargestellt in Abb. SK 6.Ein „iCGM“ muss innerhalb eines Toleranzbereiches von ± 15% folgenden definierten Anteil an Glukosewerten aufweisen (Abb. SK 6):
- > 70% Anteil im Glukosebereich von 70-180 mg/dl (3,9-10,0 mmol/l)
- > 85% im Glukosebereich unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) und
- > 80% über 180 mg/dl (10,0 mmol/l).
- Blutglukosewerte < 70 mg/dl, wenn die iCGM-Werte > 180 mg/dl liegen,
- Blutglukosewerte > 180 mg/dl, wenn die iCGM-Werte <70 mg/dl liegen.
Die von der FDA festgelegten Bedingungen legen also eine Prozedur für einen exakten Datenvergleich fest und sorgen dafür, dass Angaben zur Messgenauigkeit valide sind. Diese Festlegung der Qualitätskriterien für iCGM schließen näherungsweise eine Lücke zur Beurteilung der Genauigkeit von CGM-Messungen. Aktuell beschäftigt sich eine internationale Arbeitsgruppe unter Federführung des Instituts für Diabetes-Technologie in Ulm im Auftrag der IFCC (International Federation of Clinical Chemistry) mit einer exakten Definition von Messbedingungen und Messgenauigkeit [5]. Dabei werden neue Mess- und Analyseprozeduren entwickelt [6].


Abb. SK 6: Festlegung der Sensorgenauigkeit für ein iCGM. Diese Definition ist gut begründet, allerdings noch nicht Standard [4].
Unterschiede zwischen Blut und Interstitium und der „time lag“
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der punktuellen Blutzuckermessung (SMBG) und der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) besteht darin, dass die Messungen in unterschiedlichen Körperflüssigkeiten erfolgen: SMBG im Blut, CGM in der interstitiellen Flüssigkeit (Gewebsflüssigkeit). Die Glukose tritt vom Blut ins Gewebe über und umgekehrt, je nachdem wo die Glukosekonzentration höher ist. Erhöht sich z.B. nach dem Essen die Blutglukose, dann fließt sie vom Blut in die Gewebsflüssigkeit. Wird zu diesem Zeitpunkt die Glukose im Blut gemessen und mit dem Wert des CGM verglichen, so ist der Wert im Blut höher als im Interstitium. Die Werte sind also unterschiedlich, doch beide Werte sind richtig. Ist der Glukosespiegel dagegen stabil, d.h. treten nur geringfügige Schwankungen und keine wesentlichen Änderungen der Glukosekonzentration auf, dann ist der Wert im Blut und im Interstitium gleich.Abb. SK 7 zeigt die Verhältnisse anhand zweier gleichzeitig gemessener Glukosekurven im Blut und im Interstitium. Die Verschiebung zwischen beiden Kurven, die durch die Messung in den unterschiedlichen Kompartimenten zustande kommt, zeigt sich als „time-lag“. Das ist die Zeit, die es dauert bis mit dem CGM der gleiche Wert gemessen wird, wie vorher mit SMBG. Dieser Zeitunterschied hängt davon ab, wie schnell der Glukosespiegel ansteigt.
Deshalb ist der „time-lag“ auch nicht immer gleich. Er hängt von der Geschwindigkeit ab, mit welcher sich der Glukosespiegel ändert und damit von der Art der Nahrung, die gegessen wird, konkret der Geschwindigkeit der Nahrungsresorption. Werden z.B. Weintrauben gegessen, so steigt die Glukose schnell an, bei Pasta dagegen langsam. Es gibt Daten, wie groß der „time-lag“ bei verschieden Mahlzeiten ist. Bei einer Standartmahlzeit (55% Kohlenhydrate, 30% Fett, 15% Eiweiß) liegt der zeitliche Unterschied beim Anstieg der Glukose bei ca. 13 min und bei sinkenden Glukosewerten bei ca. 17 min [7]. Im realen Fall hängt der „time-lag“ bei einer Mischmahlzeit von deren Zusammensetzung des Mahls (Anteil Fett usw.) und auch vom vorbestehenden Mageninhalt ab. Und natürlich ist auch der individuelle Stoffwechsel eines Menschen mit entscheidend.

Abb. SK 7: Darstellung einer Glukosekurve, die sich nach mehreren Messungen im Blut mit SMBG (rot) ergeben würde. Die blaue Glukosekurve stammt von der gleichzeitigen Messung mit dem CGM-Glukosesensor im Gewebe. Durch die Zeitdifferenz, nach welcher der gleiche Glukosewert angezeigt wird ergibt sich ein sogenannter „time-lag“. Wenn die Glukosewerte stabil sind, sind die Glukosewerte im Blut und Gewebe gleich. Steigen oder fallen die Glukosewerte, so ist der Glukosegehalt im Blut und Gewebe unterschiedlich.
Einflussfaktoren auf die Messung mit CGM
Zu unterscheiden sind hier technische bzw. Umwelteinflüsse und Einflussfaktoren durch den Anwender. Als technische Faktoren und Umwelteinflüsse sind zu sehen [8]:Ein defekter Glukosesensor:
- wegen Produktionsfehlern (einzelne Chargen betreffend)
- durch Transportschädigungen oder falscher Lagerung (außerhalb des empfohlenen Temperaturbereichs) durch reproduzierbar eingeschränkte Messgenauigkeit bei bestimmten Anwendern (ggf. nicht vorhersehbar, individuelle Biokompatibilität?)
- durch chemische Störsubstanzen, je nach Sensorsystem, z.B. Vitamin C, Paracetamol und andere Medikamente (siehe Bedienungsanleitung)
- Anlage des Sensors an individuell ungünstigen Stellen (z. B. zu wenig/zu viel Fettgewebe, mechanisch beanspruchte Stellen (unvorhersehbare Faktoren))
- nicht zugelassene/geprüfte Sensorinsertionsstelle (je nach Sensorsystem: Oberarm, Bauch, Oberschenkel, Gesäß) mit individuell unterschiedlich guter Durchblutung, vermehrte Beweglichkeit des Sensors im Unterhautfettgewebe
- Kalibrationsfehler (falls das CGM-System kalibriert werden kann und dies erforderlich ist):
– Kalibration mit CGM-Werten anstatt Blutglukosewerten,
– Kalibration im schnellen Anstieg bzw. schnellen Abfall der Glukosekonzentration,
– Kalibration in einer Hypoglykämie,
– fehlende Kalibration, wenn diese angebracht und möglich wäre,
– Kalibration mit verunreinigten Fingern,
– die wiederholte Kalibration mit falsch niedrigen Werten führt zu Differenzen zwischen dem aus dem Mittelwert der Glukosekonzentration berechneten Glukosemanagement-Indikator (niedriger) und dem Labor-HbA1c (höher) - Druck auf die Sensorstelle durch Gürtel, Hosenbund, Schlafposition (falsch niedrige Werte während der Druckausübung)
- mechanische Instabilität des Pflasters, bzw. das Sensorpflaster hat sich teilweise oder ganz gelöst
- Schweiß oder Wasser (Dusche etc.) dringt an der Sensorstelle ein (passager falsch niedrige Werte)
- Entzündung der Haut an der Insertionsstelle des Sensors
[1] Kovatchev BP, Patek SD, Ortiz EA, Marc D. Breton. Assessing Sensor Accuracy for Non-Adjunct Use of Continuous Glucose Monitoring. Diabetes Technology & Therapeutics 2015; 17(3): 117-186.
[2] Clarke WL, Cox D, Gonder-Frederick LA et.al. Evaluating clinical accuracy of systems for self-monitoring of blood glucose. Diabetes Care. 1987; 10(5):622-628.
[3] Kovatchev BP, Gonder-Frederick LA, Cox DJ et.al. Evaluating the accuracy of continuous glucose-monitoring sensors: continuous glucose-error grid analysis illustrated by TheraSense Freestyle Navigator data. Diabetes Care 2004;27(8):1922-1928.
[4] U.S. Food and Drug Administration, Mitteilung 27.03.2018. FDA authorizes first fully interoperable continuous glucose monitoring system, streamlines review pathway for similar devices | FDA . letzter Aufruf: 18.03.2025.
[5] Hompage IFCC. http://www.ifcc.org/ifcc-scientific-division/sd-working-groups/wg-cgm/ , letzter Aufruf: 18.03.2025.
[6] Eichenlaub M, Pleus S, Rothenbühler M, Bailey TS, Bally L, Brazg R, Bruttomesso D, Diem P, Eriksson Boija E, Fokkert M, Haug C, Hinzmann R, Jendle J, Klonoff DC, Mader JK, Makris K, Moser O, Nichols JH, Nørgaard K, Pemberton J, Selvin E, Spanou L, Thomas A, Tran NK, Witthauer L, Slingerland RJ, Freckmann G. Comparator Data Characteristics and Testing Procedures for the Clinical Performance Evaluation of Continuous Glucose Monitoring Systems. Diabetes Technol Ther. 2024 Apr;26(4):263-275. doi: 10.1089/dia.2023.0465.
[7] Kovatchev BP, Shields D, Breton M. Graphical and numerical evaluation of continuous glucose sensing time lag. Diabetes Technol Ther. 2009;11(3):139-143.
[8] Schlüter S, Deiss D, Gehr B, Lange K, von Sengbusch S, Thomas A, Ziegler R, Freckmann G. Glukosemessung und -kontrolle bei Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes. Diabetol. und Stoffwechsel 2023; 18 (Suppl 2): S114-S135. DOI 10.1055/a-2075-9968.
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