Nicht-invasive (“unblutige”) Glukosemessung (NI)
Messung des Blutzuckers und der Blutglukose erfordert “Pieks”
Die Glukose im Organismus „unblutig“, also nicht-invasiv messen zu können, gehört nach wie vor zu den Wünschen von Menschen mit Diabetes. Immerhin stellt die Blutentnahme für die Selbstmessung des Blutzuckers (SMBG) eine belastende Selbstverletzung dar, die zwischen 4–7-mal pro Tag stattfinden muss.Durch das kontinuierliche Glukosemonitoring (CGM) ist dieses Problem deutlich geringer geworden- seit damit eine Messgenauigkeit erreicht wird, die einerseits therapeutische Entscheidungen wie die Wahl der Insulindosis zulassen, andererseits nicht mehr kalibriert werden müssen. Dies minimiert bzw. substituiert die Blutzucker-Selbstkontrolle. Der Patient muss sich nur einmal beim Legen des Glukosesensors selbst verletzen, danach ist das während der Tragezeit eines Sensors (je nach Typ zwischen 7-15 Tagen) nur noch notwendig, wenn der Sensorwert nicht plausibel erscheint, oder temporär nicht verfügbar ist. Doch damit ist der Wunsch nach einer vollkommen unblutigen (nicht-invasiven) Glukosemessung nicht erfüllt, denn nach wie vor ist gelegentlich eine blutige Messung angezeigt.
Vorsicht: Diese Geräte zur “unblutigen” Messung sind nicht zuverlässig
Dabei wurde der Optimismus, nicht-invasive Messsysteme zu erhalten in den letzten Jahrzehnten häufig genährt. Immer wieder gab es Berichte über „unblutig“ messende Systeme. Geräte wie der DiaSensor 1000 der Firma Biocontrol Technology, Inc. oder GluControl von Samsung wurden gar zum Kauf angeboten, ohne dass diese einen Beweis für ihre Messgenauigkeit erbrachten. Mehr als 100 Projekte wurden bekannt, die „bald auf den Markt kommen”. Teilweise wurde von Interessenten Geld eingesammelt, „um die Entwicklung abzuschließen und um dem interessierten Käufer die ersten brauchbaren Geräte liefern zu können, wenn sie fertig sind”. Auch aktuell werden im Internet solche Geräte – meist in der Form einer Uhr – angeboten, die angeblich den „Blutzucker“ messen. Keines dieser Geräte hat den Nachweis der für die Diabetestherapie ausreichenden Messgenauigkeit in professionellen klinischen Studien erbracht. Ein CE-Zeichen ist da nicht ausreichend, beinhaltet dieses doch weniger die Funktion, sondern sagt nur aus, dass das Gerät an sich keinen Schaden anrichtet, wie Brände, elektrische Schläge etc.Trotzdem wäre eine ausreichend genaue nicht-invasive Glukosemessung ein wichtiger Fortschritt, nicht nur wegen des „nicht mehr stechen Müssens“. Die Blutzucker-Selbstkontrolle und die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) sind materialverbrauchend, denn sie benötigen immer wieder Teststreifen, Lanzetten oder Glukosesensoren. Das gleiche betrifft Verpackungsmaterialien, Applikatoren für das Setzen der Sensoren, sowie Folien zur Befestigung. Verbrauchte Materialien müssen schließlich entsorgt werden, was auch aus Umweltaspekten ungünstig ist und einen zunehmenden Teil der Anwender stört.
So könnten Geräte für die “unblutige” Messung der Glukose funktionieren
Geräte zur punktuellen Blutzuckermessung und und die meisten CGM-Sensoren messen im Blut bzw. der interstitiellen Flüssigkeit des Gewebes. Das heißt, für die elektrochemische Messung ist Probenmaterial notwendig.Im Gegensatz dazu wird bei nicht-invasiven Messungen per se kein Probenmaterial benötigt, denn die Messung beruht überwiegend auf physikalischen Methoden. Der Haut und dem darunterliegenden Gewebe wird Energie zugeführt, indem darauf z. B. einen Lichtstrahl gerichtet, ein elektromagnetisches Feld anlegt wird usw. Die verschiedenen Moleküle im Gewebe, wie z. B. Wasser, Eiweiße, aber eben auch Glukose, nehmen einen Teil der eingebrachten Energie auf und werden dadurch angeregt. Einerseits kann anhand der deponierten Energie auf deren Absorption geschlossen werden. Andererseits wird die absorbierte Energie nach kurzer Zeit wieder abgegeben, zum Beispiel als Fluoreszenzsignal, als photoakustisches Signal usw. (Abb. DT5).
Weil diese die charakteristischen Energieniveaus der Moleküle repräsentiert, lässt sich aus der abgegebenen Energie der Glukosegehalt bestimmen. Es können z. B. aber auch die Lichtstreuung, die Ramanstreuung usw. gemessen werden. Verschiedene Messverfahren lassen sich aufgrund der Wechselwirkung von eingetragener Energie und den Glukosemolekülen charakterisieren, von denen nachfolgend beispielhaft genannt seien (Abb. DT6):
- Messung der Absorption von einfallendem Licht, i.d.R. im infraroten Bereich. Im Spektrum lassen sich die in der Probe enthaltenen Atome und Moleküle finden. Linien markieren die Art der Atome/Moleküle, deren Intensität ihren Anteil
- Analyse der nach der äußeren Energiezufuhr wieder abgegeben (emittierten) Energie. Diese tritt als Fluoreszenz oder als Schallwellen im akustischen Bereich auf
- Analyse der Streuung von einfallendem Licht durch die Glukosemoleküle. Der Effekt ist allerdings klein (eine Änderung der Glukosekonzentration um 90 mg/dl (5 mmol/l) sorgt nur für eine Änderung der Lichtstreuung um ca. 1%). Eine spezielle Form der Lichtstreuung ist die unelastische Streuung von Licht an den Molekülen, also auch an Glukose, die sogenannte Raman-Spektroskopie
- Nachweis physiologischer Veränderungen aufgrund von Energiezufuhr. Beispielsweise kommt es im Blut und in der interstitiellen Flüssigkeit zur Änderung der elektrischen Leitfähigkeit um die Zellen herum, wenn sich die Glukosekonzentration ändert. Nach dem Einstrom von Glukose in die Zelle kommt es nämlich über die innerzelluläre Natrium-Kalium-Pumpe unter Verbrauch von Adenosintriphosphat zum Herauspumpen von Natrium-Ionen und zum Einfließen von Kalium-Ionen. Dies verändert die elektrische Leitfähigkeit im extrazellulären Bereich, was sich messen lässt, z.B. über ein eingekoppeltes elektromagnetisches Feld

Abb. DT5: Messung von Glukose durch Wechselwirkung mit (zugeführter) Energie. Energieaufnahme und Energieabgabe sind für jedes Atom/Molekül spezifisch, also auch für Glukose.

Abb. DT6: Möglichkeiten der NI-Glukosemessung mit Hilfe physikalischer Verfahren
Herausforderungen der nicht-invasiven Glukosemessung
Obwohl es eine Reihe vielversprechender Ansätze für die NI-Glukosemessung gibt, besteht generell die Herausforderung, ein Produkt zu entwickeln,- welches die notwendige Messgenauigkeit aufweist,
- für Menschen mit Diabetes einfach und sicher handhabbar ist,
- dabei alle Zulassungskriterien erfüllt
- und zusätzlich auch einen Marktpreis im Segment der üblichen Glukosemessung gewährleistet.
Eine weitere Herausforderung ist die Beeinflussung des Messignals im Gewebe. Das einfallende Licht muss zu dem Ort, an dem es auf Glukosemoleküle trifft und dort zum Teil absorbiert wird, durchdringen. Es wird aber auch an den verschiedenen Atomen und Molekülen in der Haut gestreut. Wäre das Gewebe ein Medium wie z. B. klares Wasser, so ließe sich die Glukosekonzentration relativ einfach berechnen. Das Gewebe ist aber sehr komplex, durchzogen von Blutgefäßen, Nerven usw. Das macht eine genaue Analyse der Messung schwierig und begrenzt damit die Messgenauigkeit.
Es gibt noch weitere Einflussfaktoren, wie zum Beispiel den Druck, mit dem das Sensorfeld auf die Haut bzw. der Finger auf ein solches usw. aufgebracht werden. Auch die Beschaffenheit der Hautoberfläche, die Umgebungstemperatur, die Luftfeuchtigkeit, Schwitzen usw. können eine sichere Anwendung gefährden.
Eine zuverlässige, hochpräzise „unblutige“ Messung ist aber trotzdem realistisch. Notwendig dazu sind hochsensible optische Sensoren, z. B. aus Verbindungshalbleitern und schnelle Prozessoren mit hoher Rechenkapazität zur Analyse des Signals. Diese Komponenten sind im Prinzip verfügbar, aber eben nicht zu einem geringen Preis. Weiterhin dürfte zukünftig zunehmend künstliche Intelligenz zur Anwendung kommen, um die gemessenen Daten schnell in Glukosewerte und -Profile umzusetzen.
Projekte, die eine nicht-invasive Messung ermöglichen könnten
Es hat bisher vielfältige Projekte zur “unblutigen” Messung der Glukose (NI) gegeben, die zum Teil als Durchbruch angekündigt worden sind, dann aber doch die Hoffnungen der Menschen mit Diabetes enttäuschten. Häufig handelte es sich dabei um kleinere Firmen, teilweise Startups oder auch Arbeitsgruppen in universitären Einrichtungen. Letztere konnten zwar häufig den Messeffekt zeigen, aber einerseits unter idealisierten Bedingungen und andererseits nur mit einem Funktionsmuster. So kamen NI-Systeme in die Diskussion, wie die folgenden, nicht-invasiven Glukosemonitoringsysteme (in Klammern die Jahre, in denen diese Projekte stark diskutiert wurden):- HG1c der Firma C8 MediSensors, beruhend auf Raman-Spektroskopie (2011),
- Pendra der Firma Pandragon, beruhend auf Leitfähigkeitsmessungen im zwischenzellulären Bereich (2004),
- die Apple-Watch 7, die neben der Messung von EKG’s oder der Sauerstoffsättigung auch kontinuierlich die Glukose messen sollte (2021),
- die Google lens, eine Kontaktlinse (2014), die sich an einer früheren Entwicklung der Firma CIBA Vision Corp. orientierte.
Fazit: Die Wünsche von Menschen mit Diabetes nach Geräten zur “unblutigen” (nicht-invasiven) Messung der Glukose werden sich erfüllen. Dabei kann auch gespart werden, angesichts von Messgeräten, die kein Verbrauchsmaterial benötigen.
Bei der Beurteilung von NI- Glukosemessgeräten sind Tests im Rahmen wissenschaftlicher Studien mit Diabetespatienten eine unumstößliche Forderung. Diese sind wissenschaftlich zu validieren und zu publizieren – in Zeitschriften mit Peer-Review durch ausgewiesene Experten. Bei Messsystemen ohne eine solche Validierung ist deshalb Vorsicht geboten.
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