Langzeitergebnisse der Studien UKPD, ACCORD, ADVANCE

HbA1c doch unter 6,5% bringen?

Eine gute Blutzuckereinstellung zahlt sich langfristig aus, aber man empfiehlt die strenge Therapie heute nicht mehr unter allen Umständen. Nach den Ergebnissen der großen Diabetes-Studien ACCORD und ADVANCE wird über den Zielwert des Langzeit-Blutzuckers (HbA1c) bei Typ-2-Diabetikern gestritten. Für Beunruhigung hatte die erhöhte Sterblichkeit (Gesamtmortaliät) bei HbA1c-Zielwerten unter 6,5% in der ACCORD-Studie gesorgt. Im September wurden Daten der Zehn-Jahres-Nachbeobachtung der UKPD-Studie vorgestellt. Und die untermauern, dass sich eine gute Diabeteseinstellung noch Jahre später auszahlt. Gut eingestellte Diabetiker müssen demnach nicht nur seltener mit “mikrovaskulären” Folgeschäden z.B. an Augen und Nieren rechnen als schlechter eingestellte Leidensgenossen. Auch die Schäden an den großen Gefäßen, ihr Herzinfarktrisiko und die Gesamtsterblichkeit liegen niedriger. Ein Nutzen, der sich am Ende der Ursprungsstudie noch nicht so deutlich herauskristallisiert hatte. Die United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS) ist eine “Meilenstein”-Studie der Diabetologie. Sie wurde 1977 in 15 ambulanten Diabeteszentren in Großbritannien begonnen. Man nahm über 5000 übergewichtige Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes in die Studie auf. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) entweder einer konventionellen, primär diätetischen Therapie (HbA1c-Zielwert unter 270 mg/dl = 15 mmol/l) oder einer intensivierten Therapie zugeführt (Nüchternglukose-Zielwert unter 106 mg/ dl = 6,0 mmol/l). Im intensivierten Therapiearm gab es wiederum Gruppen, die entweder mit Metformin, Glibenclamid oder anderen Sulfonylharnstoffen oder Insulin behandelt wurden. Im Mittelpunkt der Studie standen die Fragen, ob die intensive medikamentöse Therapie den Patienten langfristig nutzt, und welche sonstigen Vor- und Nachteile die verschiedenen Strategien haben. Die Haupt-Untersuchungspunkte (Endpunkte) der Studie waren:
  • Diabetes-bezogene Ereignisse und Krankheiten
  • Sterblichkeit an Diabetes
  • Sterblichkeit jeder Ursache (Gesamtmortalität)
Die Patienten beobachtete man im Durchschnitt 11 Jahre lang. Die Ergebnisse der UKPDS-Studie wurden ab 1998 vorgestellt. Seitdem läuft eine Nachbeobachtungsphase, deren Auswertung nun veröffentlicht wurde. Die Ursprungsstudie: Strenge Einstellung nutzt Augen, Nieren, Nerven Die UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes Study) hatte im letzten Jahrtausend gezeigt, dass Typ-2-Diabetiker vor allem vor mikrovaskulären Folgeschäden (kleine Gefäße der Augen, Nieren, Nerven) deutlich sicherer sind, wenn sie auf einen HbA1c-Wert unter 6,5% eingestellt werden. Unabhängig von der Art der Therapie, senkte jeder Prozentpunkt des HbA1c in diese Richtung das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen um etwa ein Drittel. Die intensive Therapie (Insulin, Sulfonylharnstoff oder Metformin) erreichte HbA1c-Werte von durchschnittlich 7,0%, die konventionelle Therapie von 7,9%. Interessanterweise hatte die Senkung des Blutzuckers in der UKPDS bis 1998 keinen signifikanten Einfluss auf Herz-Kreislauf- (kardiovaskuläre) Komplikationen. Positive Auswirkungen auf Herzinfarktrate und Gesamtmortalität waren am Ende noch nicht erkennbar. Die Nachbeobachtung: Strenge Einstellung schützt auch die großen Gefäße Nach Beendigung der Studie wurde auch bei den Patienten der Kontrollgruppe, die nur diätetisch behandelt worden waren, eine intensivierte Blutzuckersenkung angestrebt. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse der zehnjährigen Nachbobachtung zeigten zweierlei: Zwar hatten sich die HabA1c-Werte im intensivierten und diätetischen Behandlungsarm angeglichen. Aber die für elf Jahre intensiv behandelte Patientengruppe wies immer noch deutliche Vorteile auf.
  • Mikrovaskuläre Komplikationen lagen in dem ursprünglichen Sulfonylharnstoff-/Insulin-Arm um 24% niedriger als in der mit Diät behandelten Kontrollgruppe.
  • Das Herzinfarktrisiko war bei den ursprünglich intensiv behandelten Patienten um 15% reduziert, Todesfälle um 13%.
  • Speziell bei den mit Metformin behandelten Patienten betrug die Risikoreduktion in den Diabetes-bezogenen Endpunkten 21% im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Herzinfarktrate war um 33% niedriger, die Zahl der Todesfälle um 27%.
Fazit Die Ergebnisse der zehnjährigen Nachbeobachtung untermauern, dass Diabetiker auch Jahre später noch von niedrigen HbA1c-Werten profitieren können. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf späte Schäden an den großen Gefäßen, die zu Herzinfarkt führen (makrovaskuläre Spätkomplikationen). Die heutigen Studien: ADVANCE In der ADVANCE-Studie (Action in Diabetes and VAscular disease: Preterax and DiamicroN-MR Controlled Evaluation) verglich wie UKPDS die Wirkung verschieden strenger Therapiestrategien auf mikro- und makrovaskuläre Folgekomplikationen. Die intensive Blutzuckersenkung auf HbA1c-Werte von durchschnittlich 6,5% senkte nach fünf Jahren im verglich zur Kontrollgruppe (HbA1c 7,3%) makrovaskuläre Folgeschäden um sechs Prozent; dieses Ergebnis war aber nicht signifikant, d.h., nicht so eindeutig, dass es nicht auch hätte ein Zufall sein können. Signifikant seltener (-21%) kam es aber unter der intensiv blutzuckersenkenden Behandlung zu einer diabetischen Nephropathie (Neuauftreten und Verschlimmerung von Nierenleiden). Der Paukenschlag: ACCORD Die ACCORD-Studie (Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes) hatte die Klärung zum Ziel, wie sich eine intensivierte Einstellung des Blutzuckers (HbA1c-Wert unter 6,0%), des Blutdrucks und der Blutlipide auf makrovaskuläre Komplikationen auswirkt. Nach 3,5 Jahren wurde der Studienteil zur intensivierten HbA1c-Wert-Senkung abgebrochen, weil die Sterblichkeit in der intensiv behandelten Gruppe im Vergleich zur Standardbehandlung signifikant um 22% gestiegen war. Da sich das Mortalitätsrisiko vor allem für Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen (z.B. koronare Herzkrankheit, Angina) und mit hohen HbA1c-Ausgangswerten erhöht hatte, wird derzeit überlegt, ob bei solchen Patienten von einer Senkung der HbA1c-Werte unter 7,0% abgeraten werden muss. Es wird auch überlegt, ob die Senkung des Blutzuckers nicht langsamer erfolgen sollte; in der ACCORD-Studie war der Wert innerhalb von vier Monaten um 1,4% gefallen. Eine weitere Erklärung könnte eine höhere Rate an Unterzuckerungen und eine deutliche Gewichtszunahme bei vielen Patienten unter der intensiv blutzuckersenkenden Therapie sein. DDG: Umsichtige Therapie – HbA1c unter 6.5%, doch nicht um jeden Preis Diesen Überlegungen gemäß vertritt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) einen differenzierten Standpunkt: Von entscheidender Bedeutung für den Therapieausgang sei die Art und Weise der Intensivierung der blutzuckersenkenden Therapie. Man geht davon aus, dass eine Senkung des HbA1c-Wertes auf 6,5% gegenüber einem Zielwert von 7,0% für den Patienten vorteilhaft sein kann, aber nur dann angestrebt werden soll, wenn
  • Unterzuckerungen (Hypoglykämien, insbesondere schwere) weitestgehend vermieden werden,
  • der therapeutische Effekt nicht mit einer wesentlichen Gewichtszunahme einhergeht,
  • wenig untersuchte Mehrfachkombinationen von oralen Antidiabetika (d.h. in der Regel mehr als zwei), und deren Kombination mit Insulin, vermieden werden.
Das in der ACCORD-Studie praktizierte Vorgehen der gleichzeitigen Gabe mehrerer Medikamente (mit den entsprechenden Nebenwirkungen) werde, so die Fachgesellschaft, im Verbreitungsgebiet der DDG-Leitlinie nicht empfohlen. Vielmehr rät die DDG vorzugsweise zum Einsatz einer Substanz ohne Unterzuckerungsgefahr, nämlich Metformin, als Mittel der ersten Wahl. Wird unter einer Kombinationstherapie von maximal zwei oralen Antidiabetika der HbA1c-Zielwert nicht mehr erreicht, wird zur Insulintherapie geraten. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der ACCORD- und ADVANCE-Studien wurde der aktuelle Diskussionsentwurf der DDG-Leitlinie zur “Medikamentösen Therapie des Typ 2 Diabetes” um die Aussage ergänzt, dass der Vermeidung von Nebenwirkungen wie Hypoglykämien und einer wesentlichen Gewichtszunahme eine große Bedeutung zukommt. Kann der Zielwert von unter 6,5% nur mit solchen Nebenwirkungen erreicht werden, sollte das HbA1c-Ziel lieber bei 7,0% belassen werden. Redaktion: Ralf Schlenger, Apotheker

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