Inkretine senken den Blutzucker

Schlüssel zur Entwicklung neuer Antidiabetika

Inkretine senken den Blutzucker Ein neues, vielversprechendes Therapieprinzip bei Typ-2-Diabetes besteht in Medikamenten, die bestimmte Darmhormone aktivieren, sogenannte Inkretine. Diese Botenstoffe entstehen bei Aufnahme von Kohlenhydraten und vermitteln verschiedene blutzuckersenkende Vorgänge. Die Hoffnung: Inkretin-Aktivatoren sollen keinen Unterzucker verursachen und das Körpergewicht nicht erhöhen. Zu den natürlichen Inkretinen gehören das im Dünndarm gebildete Glucagon like peptide 1 (GLP-1) sowie das Glucose-dependent insulinotropic peptide (GIP). Die Darmhormone werden nach oraler Aufnahme von Kohlenhydraten freigesetzt und steigern die Insulinproduktion, und zwar glukoseabhängig, d.h. nur bei höheren Blutzuckerwerten, z.B. infolge einer Mahlzeit. Inkretine besitzen noch weitere Einzeleffekte, die sich zu einer starken antidiabetischen Wirkung addieren, wie Professor Michael Nauck, Bad Lauterberg, auf einer Fortbildungsveranstaltung für Ärzte erläuterte: Inkretine
  • drosseln die Glukoseproduktion in der Leber: Diese ist für die erhöhte Nüchternglukose beim Diabetiker verantwortlich
  • verzögern die Magenentleerung: Nährstoffe strömen langsamer ins Blut, was die Blutzuckerregulierung erleichtert
  • verstärken das Sättigungsgefühl
In Tierexperimenten haben Forscher zudem entdeckt, dass GLP-1 das Wachstum der Betazellen anregt, die in der Bauchspeicheldrüse Insulin produzieren. Die Inkretinproduktion ist bei Typ-2-Diabetikern geringer ausgeprägt als bei Gesunden, der Mechanismus jedoch grundsätzlich intakt. Daraus ergibt sich ein Angriffspunkt für neue medikamentöse Therapien.
Stichwort: Inkretineffekt
Inkretine sind dafür verantwortlich, dass die Bauchspeicheldrüse nach einer Aufnahme von Glukose aus dem Darm viel mehr Insulin freisetzt als nach Infusion derselben Menge Glukose direkt in die Blutbahn. Inkretine wirken insulinfreisetzend.
Inkretine sind empfindliche Eiweißstoffe Der Haken an der Sache: Körpereigenes GLP-1 ist ein Eiweißhormon, das Biochemiker zwar nachbauen können, das aber nicht als Tablette geschluckt werden kann. Als Eiweiß wird es in kürzester Zeit abgebaut. Dies besorgt ein überall im Organismus vorkommendes eiweißspaltendes Enzym, die sogenannte Dipeptidyl-Peptidase 4. Sie wandelt GLP-1 in ein unwirksames Molekül um. Forscher haben aber zwei Wege gefunden, das therapeutische Potenzial von GLP-1 dennoch zu nutzen: GLP-1-Mimetika ahmen die Wirkung des Körperhormons nach Die GLP-1-Rezeptor-Agonisten sind Substanzen, die die Wirkung von GLP 1 nachahmen und fast so stark wirken wie das Inkretin, ohne vom Körper abgebaut zu werden. Beispiele für Inkretinmimetika sind der natürliche Wirkstoff Exenatid (ursprünglich isoliert aus dem Speichel der Echse Heloderma suspectum) und das aus GLP-1 abgeleitete Liraglutid. Exenatid ähnelt menschlichem GLP-1 zu über 50% und unterliegt nicht dem enzymatischen Abbau. Exenatid wurde in drei kontrollierten klinischen Studien auf den Einfluss auf den HbA1c (als Maß für die Langzeit-Blutzuckereinstellung) untersucht. Fasst man deren Daten zusammen, so senkte die Dosis von 2 x täglich 5 Mikrogramm Exenatid den HbA1c im Vergleich zu Plazebo um 0,6% , die Dosis von 2 x täglich 10 Mikrogramm um 0,9%. Das Körpergewicht der teilnehmenden Diabetiker konnte ebenfalls signifikant gesenkt werden. Die häufigste Nebenwirkung war Übelkeit. Daten nach 82 Wochen zeigen eine anhaltende Senkung des Blutzuckerwerte und des Körpergewichts. Ob sich Exenatide neben Insulin durchsetzen wird, hängt auch von der Akzeptanz bei Patienten ab: Es gibt keine Tablette! Das Mittel muss gespritzt werden wie Insulin. Exenatide ist seit April 2005 in den USA auf dem Markt (Byetta®).
Enzym-Hemmstoff erhöht die Wirkung der Inkretine Sitagliptin gehört zu einer neuen Klasse von Wirkstoffen, die das Enzym Dipeptidyl-Peptidase 4 (DPP-4) hemmen. Dadurch erhöhen sie die Konzentrationen von körpereigenem GLP-1 und GIP und rufen deren antidiabetische Effekte hervor: Glukose-abhängige Insulinfreisetzung, verzögerte Magenentleerung, Hemmung der Glukoseproduktioen in der Leber, gebremster Appetit usw. (s.o.). Besonders vorteilhaft wirkt sich aus, dass Sitagliptin nur dann die Inkretinspiegel und in der Folge den Insulinspiegel erhöht, wenn die Inkretine nach der Aufnahme von Kohlenhydraten überhaupt ausgeschüttet werden. So kann eine Unterzuckerung vermieden werden. Klinische Studien bestätigten die Wirksamkeit und gute Verträglichkeit von Sitagliptin. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes wurde eine effektive Reduktion des Nüchternblutzuckers, des postprandialen Blutzuckers und der HbA1c-Werte beobachtet. Die einmal tägliche Einnahme von 100 mg Sitagliptin senkte den HbA1c-Wert um durchschnittlich 0,56%. Der Erfolg war um so ausgeprägter, je höher der Ausgangswert für den HbA1c: In der Gruppe mit einem HbA1c über 8,5%, kam es zu einer Senkung um 1,13%. Anders als z.B. bei Sulfonylharnsatoffen traten unter Sitagliptin Unterzuckerungen nicht häufiger auf als unter einem Scheinmedikament, und es gab keinen Effekt auf das Körpergewicht. Nachdem Sitagliptin die Phase-II-Studien erfolgreich bestanden hat, wird der Wirkstoff derzeit in der Phase III an einer großen Zahl von Diabetikern geprüft.

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